15000 Osnabrücker müssen am ersten Advent (2010) wegen der Entschärfung von Blindgängern ihre Häuser verlassen. Müssen sie wirklich? Über die rechtlichen Aspekte sprachen wir (NOZ) mit Prof. Dr. Pascale Cancik, Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Osnabrück.
Auf welcher rechtlichen Grundlage fußt so eine Evakuierung?
Die Evakuierung findet ja statt, weil die Gefahr besteht, dass eine Bombe bei der Entschärfung explodieren kann. Das ist eine besondere Gefahrensituation, und da greift das Gefahrenabwehr- oder Polizeirecht. Das ist geregelt im Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz. Da finden sie eine Menge Maßnahmen, die die Polizei ergreifen kann, um Gefahren abzuwehren oder auch um Menschen aus Gefahrensituationen zu bringen.
Was bedeutet das für den konkreten Fall bei einer Evakuierung wegen einer Bombenräumung?
Eine der Maßnahmen, die die Polizei ergreifen kann, ist die sogenannte Platzverweisung. Die ermöglicht es, Personen im Gefahrenfall vorübergehend von einem Ort zu verweisen oder das Betreten des Ortes zu verbieten. Man kann eine Evakuierung als eine Summe von Platzverweisungen verstehen. Man kann Menschen nicht nur von öffentlichen Plätzen verweisen, sondern auch aus Wohnungen. Das geht aber nur im Falle einer sogenannten gegenwärtigen erheblichen Gefahr. Also wenn eine Gefahr besteht für ein besonderes Rechtsgut wie Leben, Gesundheit oder Vermögensschäden in einem größeren Umfang drohen.
Und diese erhebliche Gefahr besteht bei einer Bombenentschärfung?
Ja. Die Behörde muss schließlich vorher eine Prognoseentscheidung treffen. Sie weiß ja nicht, ob die Bombe explodieren und so ein Schaden eintreten wird, sondern muss prüfen, wie ein möglicher Schaden abgewendet oder wenigstens reduziert werden kann. Wenn im Nachhinein nichts passiert und man es später besser weiß, hilft das der Behörde im Vorfeld nicht. Das muss sich jeder klarmachen.
Haben die Bürger denn ein Recht, auf eigenes Risiko in der Wohnung zu bleiben?
Die Platzverweisung ist rechtlich verbindlich. Das heißt, die Leute müssen dem Folge leisten, und die Polizei kann das auch durchsetzen. Wenn jemand im Haus bleibt und sagt: „Ich gehe nicht“, kann die Polizei ihn im Notfall in Gewahrsam nehmen. Das wäre in der Tat eine vorübergehende Freiheitsentziehung. Die Polizei kann jemanden festnehmen und aus dem Haus schaffen. Rechtlich ist klar: Es besteht eine Pflicht, einem rechtmäßigen Platzverweis Folge zu leisten. Allerdings kommt der Behörde bei der Durchsetzung Ermessen zu, sodass es auf den Einzelfall ankommt.
Welche Konsequenzen drohen „Hausbesetzern“?
Wenn Sie sich körperlich wehren, wenn die Polizei sie in Gewahrsam nimmt, könnte es strafrechtlich relevant sein. Das kann dann Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder bei heftiger Gegenwehr sogar Körperverletzung sein. Wenn sie sich einfach im Haus verschließen und die Polizei weiß gar nicht, dass sie drin sind, wird ihnen im Zweifel nichts passieren. Man muss aber klar sagen: Wenn sie sich im Haus verrammeln, es passiert etwas und sie werden verletzt, haben sie keinen Anspruch auf Schadenersatz.
Gibt es eine besondere Verpflichtung der Polizei, die leer stehenden Wohnungen gegen Einbrecher zu schützen?
Man kann das nicht pauschal beantworten. In so einer Situation werden die Schutzpflichten, die die Polizei für unser Eigentum immer hat, besonders deutlich. Daher ist es natürlich zu wünschen, dass die Polizei durch erhöhte Aufmerksamkeit versucht, Straftaten zu verhindern. Wie gut das im ganzen Evakuierungsgebiet gelingen kann, hängt von den Ressourcen der Polizei ab. Es hängt aber auch davon ab, ob sich die Polizei selber gefährden müsste.
Können Gastronomen oder Gewerbetreibende Schadenersatz für entgangene Einnahmen einfordern?
Das ist sehr schwierig. Grundsätzlich gilt, dass es Fälle höherer Gewalt gibt. Und die gehören zum allgemeinen Lebensrisiko. Die können jeden treffen, und dementsprechend muss jeder die Folgen tragen. Generell gilt, dass, was im Allgemeininteresse zur Gefahrenabwehr vorgenommen werden muss, letztlich auch von der Allgemeinheit getragen werden muss. Es gibt aber Ausnahmen für jemanden, der ein sogenanntes Sonderopfer erbringt. Dieser Anspruch besteht allerdings nicht, wenn die Gefahrenabwehrmaßnahme auch zum Schutz der geschädigten Person erfolgt ist.